WAS ES HEIßT DURCHZUKOMMEN, OBWOHL MAN NICHT SOLLTE

Sie sprechen davon, wie sehr sie Kinder wollen,
aber fragen sich nicht,
ob diese Kinder auch geboren werden wollen.

Ob sie dieses System aushalten können.
Ob sie überhaupt jemals einen Platz finden, in einer Welt,
die alles normiert, sortiert und zerbricht,
was nicht reibungslos funktioniert.

Ich war das Kind,
das niemand gehört hat.
Das man in eine Welt geworfen hat,
welche nie dafür gemacht war,
und das jetzt die Rechnung zahlt
für etwas,
wofür es nie zugestimmt hat.

Nicht geboren,um zu leben
sondern um zu kämpfen,
zu überleben,
zu erklären,
zu rechtfertigen,
zu funktionieren.

Und irgendwann sitze ich da,
als Erwachsener,
und merke,
ich habe das nie gewollt.
Und jetzt darf ich nicht mal sagen,
dass ich nicht mehr kann.

Denn dann heißt es,
„Du übertreibst.“
„Anderen geht’s auch schlecht.“
„Du musst halt lernen, damit umzugehen.“

Lernen, in einem System  zu überleben, das einen von Anfang an nicht wollte?

Ich bin kein Einzelfall.
Ich bin das,
was passiert, wenn man
Menschen produziert,
statt ihnen Räume zu geben.

Weil es nie um die Kinder geht.
Es geht um’s
Habenwollen.
Um ein Bild.
Um ein Gefühl.
Um “sich selbst in Miniatur”.

Aber nicht um das,
was Kinder wirklich sind.

Eigene Wesen mit Schmerz,
mit Fragen,
mit Grenzen,
mit Stimmen,
die niemand hören will,
wenn sie nicht „lieb“ sind.

Die Kinder, die schon da sind?
Zerbrochen in Heimen.
Zerdrückt in Schulbänken.
Stillgestellt mit Diagnosen,
Medikamenten,
Therapien,
weil das System nicht aushält,
wenn ein Kind nicht funktioniert.

Und ich war eines davon.
Und ich bin es noch,
weil die Welt mich nie als erwachsenen
Menschen behandelt hat,
sondern als
„nicht belastbar“,
„nicht einsatzfähig“,
„nicht arbeitsfähig“;
„nicht passend.“

Und das ist keine Schwäche.
Das ist Wahrheit.
Und Wahrheit wird in dieser Welt
immer als Störung behandelt.
Weil sie zu laut ist für eine Gesellschaft,
die alles lieber schönredet.

Sie sagen:
„Wir brauchen mehr Kinder.“
Aber sie meinen:
„Wir brauchen mehr funktionierende Einheiten.
Mehr verwertbare Zukunft.
Mehr Leistungsträger.“

Was sie nicht brauchen,
sind Kinder,
die zu laut fühlen.
Zu klar sprechen.
Gar nicht sprechen.
Zu still leiden.
Zu echt sind.

Die Kinder, die schreien?
Zu schwierig.
Die, die sich anpassen?
Zu unauffällig.
Die, die durchrutschen?
Zu teuer.

Es ist ein Markt.
Und wer nicht performt,
wird verwaltet, vergessen
oder verschwindet im Stillen.

Und dann fragt ihr euch,
warum Menschen wie ich
nicht mehr können.

Warum ich sage,
ich habe nie existieren wollen.

Vielleicht, weil man mich nie
als existierend anerkannt hat.
Nur als Problem.
Als Fall.
Als Belastung.

Aber nicht als Mensch.
Nicht als Kind.

Nicht als jemand,
der ein Recht gehabt hätte,
in Sicherheit zu wachsen.

Und das darf ich sagen.
Denn das Schweigen hat mich fast gebrochen.

Jetzt bin ich dran.
Mit meiner Wahrheit.

Und die Wahrheit ist,
Störungen sind nicht das Problem.
Sie sind die Signale,
die sagen „So geht’s neama.“

Und wenn man Signale lang genug ignoriert,
brechen sie aus.
Und dann sagen alle
„Was war mit ihm?“
anstatt sich zu fragen,
„Was haben wir ihm angetan?“

Und vielleicht ist das
die gefährlichste Form von Klarheit,
die ich je hatte.

„VIELLEICHT ASPERGER, ..aber Autismus?“

Und ich weiß,
ihr habt nichts verstanden.
Gar nichts.
Und schlimmer,
ihr glaubt, ihr wärt auf meiner Seite.

„Vielleicht Asperger.“

Als wäre das ein Kompromiss.
Ein Etikett für Kinder, Jugendliche, Erwachsene
die nicht „normal genug“ sind,
um ignoriert zu werden,
aber „funktional genug“ wirken,
um nicht als Gefahr zu gelten.

Asperger – der,
der Kinder in „wertvoll“ und „unnütz“
aufgeteilt hat.

Der ihnen den Tod unterschrieben hat,
weil sie zu viel waren.
Genau diese Einteilung lebt weiter.

Heute heißt sie nicht mehr „lebensunwert“.
Heute heißt sie;
„Nicht arbeitsfähig.“
„Nicht therapierbar.“
„Nicht neurotypisch genug für die Statistik.“

Aber es ist dasselbe Denken.
Nur sauberer formuliert.

Wenn ihr sagt,
„Irgendwas haben wir ja alle.“
ist das keine Nähe.

Nein.
Ihr habt nicht „alle ein bisschen was“.
Ihr habt ein System, das euch schützt,
während es uns aussortiert.
Und wenn wir dann sagen,
wer wir sind,
sagt ihr,
„Vielleicht. Aber nicht so.“

Ich habe keine Diagnose gebraucht,
um zu wissen, wer ich bin.
Aber ich brauchte eine,
weil ihr mir sonst nicht glaubt.

Und selbst dann glaubt ihr es nur,
wenn es in euer Bild passt.
Wenn man es sieht.
Wenn es leise ist.
Wenn es nicht stört.

Wenn es Asperger heißt.
Aber bitte nicht Autismus.

Das ist kein Missverständnis.
Das ist struktureller Ableismus.

Das ist das moderne Pendant zur Euthanasie;
Verwerten, behandeln, beschwichtigen,
und wenn das nicht reicht: wegdefinieren.

Ihr habt nichts gesehen.
Nicht mich, nicht uns. Nicht das System.
Und trotzdem glaubt ihr,
ihr könntet uns sagen,
wer wir sind,
damit es sich für euch leichter aushält.

Ich war das Kind, das im Morgenkreis nicht mitgeredet hat.
Das beim Basteln zugeschaut hat, weil die Schere zu laut war.
Das geweint hat, weil die Jacke falsch saß. Und keiner hat gefragt, ob es vielleicht zu viel war,
nur, warum ich nicht funktioniere.

Ich war das Kind, das den Kopf auf die Tischplatte gelegt hat, weil es unterfordert war.
Das nicht mitgesungen hat, nicht weil es nicht wollte,
weil es nicht einmal sprechen konnte.

Ich war der Schüler,
der nie in Gruppen arbeiten wollte,
weil er ausgeschlossen wurde.
Der „respektlos“ genannt wurde, weil er nicht geantwortet hat.
Der ständig angeschrien wurde,
weil sein Blick abwesend war.

Ich wollte funktionieren, so gut ich konnte,
in einem System, das erwartet hat, dass ich passe.
Aber keiner hat gesehen,
dass ich in der Pause am Platz sitzen blieb,
um endlich allein zu sein.

Ich war der Lehrling, der sich alles gegeben hat
und trotzdem zu langsam war.

Ich war der Kollege,
der lieber allein gearbeitet hat,
weil die Gespräche zu viel waren.
Der nicht gelacht hat, wenn andere sich über Kunden lustig gemacht haben.
Und irgendwann war ich wieder draußen,
nicht weil ich nichts konnte,
sondern weil ich nicht wie alle anderen war.

Dieses Schreiben,
ist nicht nur über Autismus,
es ist über alle marginalisierten Menschen,
die täglich kämpfen müssen, um zu überleben.

Es ist keine Anschuldigung an Einzelpersonen, sondern ein Echo dessen,
was in Kindheiten passiert,
die das System nicht tragen kann.

Und ein Ruf an alle, die mit Kindern arbeiten,
genauer hinzusehen.

 

– UNMASKED

..geschrieben von einem erwachsenen Autisten, durch den Schmerz eines autistischen Kindes –das ich war.