Ein Weg aus der Dunkelheit: Ein Mann findet neuen Lebensmut durch Therapie
Heute möchte ich mit euch eine inspirierende Geschichte aus meiner Arbeit teilen. Sie handelt von einem Mann, nennen wir ihn Norbert, der lange Zeit mit Depressionen und den dazugehörigen Symptomen wie z. B. Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Müdigkeit gekämpft hat. Seine Reise zeigt, wie wichtig es ist, sich den eigenen Dämonen zu stellen und dass Heilung möglich ist – auch wenn der Weg steinig und lang ist.
Als er das erste Mal zu mir kam, war er sehr schweigsam. Man konnte die Last der vergangenen Jahre in seinen Augen sehen. Die Anamnese offenbarte eine schwierige Kindheit: kein Vater, eine überforderte Mutter mit zwei weiteren Kindern, eines davon behindert. Häufig gab es Schläge, doch die wirkliche Gewalt war die laute, schimpfende Atmosphäre zuhause. Lieblosigkeit und Überforderung waren an der Tagesordnung. Vor vier Jahren nahm sich sein kleiner Bruder das Leben. Seitdem fühlte er sich, als käme er selbst nicht mehr aus dem „Quark“ – er trank regelmäßig und konnte kaum noch etwas leisten.
Wir begannen unsere Arbeit zunächst damit, uns kennenzulernen. Die ersten Stunden quatschten wir über allgemeine Dinge. Er erzählte von seiner lieben Frau und seinem kleinen Hund. Langsam begannen wir, seine Geschichte zu externalisieren, d.h. sichtbar zu machen. Besonders berührend war es für mich zu sehen, wie er sich öffnete, weinte und seinen Schmerz integrierte.
Ein wichtiger Bestandteil unserer Therapie war die systemische Familienaufstellung. Mit Klötzchen, Polstern und auch mit Menschen stellten wir immer wieder seine Familie auf. Es war erstaunlich zu sehen, wie die von ihm empfundene Lieblosigkeit sich in den Aufstellungen als Überforderung der Mutter zeigte, die nicht fähig war ihn zu sehen, wo anders hinschaute, aber ihn dennoch liebte. Plötzlich konnte er die Liebe seiner Eltern spüren. Dieser Erkenntnis folgte ein Wendepunkt in seinen Gefühlen. Sein Umfeld bemerkte die Veränderung: Er kleidete sich anders, sauberer und adretter, aber er begann auf seltsame Art, seinen Ideen zu folgen.
In weiterer intensiver Arbeit widmeten wir uns seinen Glaubenssätzen. Anfangs lauteten seine „Ich bin…“-Sätze: „Ich bin bescheuert… blöd… ein Saukerl…usw“. Schritt für Schritt wandelten wir sie um in positive Aussagen wie „Ich bin eigentlich ganz okay“ und „es passt schon“, bis schließlich „Ich bin ein hilfsbereiter netter Kerl“. Es war ein langer Weg dies zu integrieren, zu erleben und seinem Körper zu zeigen, dass er dies tatsächlich ist. Weitere kleine Veränderungen nahm er vor in seinem Verhalten, in seinem Denken und somit in seinen Gefühlen. Ein großer Prozess war die Trennung von seiner damaligen Partnerin. Es passte einfach nicht mehr. Die Dramen passten nicht mehr, denn sie passten nicht mehr zu ihm. Er zog in eine kleine Wohnung und startete sozusagen von dort ein neues Leben. Noch heute habe ich tiefen Respekt vor diesem Mut. Natürlich wusste er nicht wie die Zukunft wird. Unsicherheiten und Sorgen kamen zurück. Gedanken-Karuselle und zwischendurch für die Angst, ein wenig Alkohol. Der Durchbruch kam dann mit einer Ernährungsumstellung und Sport. Plötzlich war da eine Energie, die wie er sie beschreibt, unbeschreiblich war und völlig unbekannt. Auch ich spürte die Veränderung. Wir vereinbarten nur mehr einmal im Monat eine Stunde. Und es ging gut aus. Heute lebt er in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Graz und hat eine komplett neue Arbeit, die ihn erfüllt. „Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich mir nicht so in die Hosen gemacht“ war seine Aussage. Heute hat Norbert eine liebevolle Partnerin an seiner Seite. Sie machen gemeinsam Sport und ernähren sich vegan.
Gestern beendeten wir unsere sechsjährige Therapie. Mit Tränen in den Augen sagte er, dass sein Weg noch nicht zu Ende sei, aber er wolle es jetzt mal allein versuchen, bzw. sei er ja nicht mehr allein. Seine Partnerin habe ja auch 2 kleine Söhne, die er sehr mag. Neue Herausforderungen warten auf ihn.
„Das Leben besteht nicht darin, zu warten,
dass der Sturm vorüberzieht,
sondern darin, zu lernen, im Regen zu tanzen.“
– Unbekannt
Diese Geschichte erinnert uns daran, dass es immer Hoffnung gibt, selbst in den dunkelsten Zeiten. Mit Mut und Unterstützung kann jeder Mensch seinen eigenen Weg zur Heilung finden.